Selbsterlebtes: Mit dem Ro 80 nach Libyen

Im Frühjahr 1968 begann NSU mit der Auslieferung des Ro 80 auch an aussereuropäische Kunden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wegen der geringen Produktionszahlen und zur Sicherstellung des Kundendienstes nur deutsche und einige europäische Vertretungen beliefert worden. So lag auch der Auftrag der NSU-Vertretung in Tripolis einige Monate lang auf Eis.

Aber dann konnte der Händler nicht länger vertröstet werden, schliesslich sollte das Fahrzeug auf der Internationalen Industrie-Messe in Tripolis ausgestellt und anschliessend dem libyschen Königshaus übergeben werden. Inzwischen war aber auch klar geworden, dass der Zeitplan wegen des langen Seetransports nicht mehr einzuhalten war, der Lufttransport wurde als zu teuer verworfen. Um das Projekt noch zu retten, entschloss ich mich daher, statt der ohnehin vorgesehenen Flugreise nach Tripolis den Wagen auf der Strasse nach Libyen zu überführen. Obwohl das ganze Vorhaben keine Begeisterung bei der Kundendienstleitung auslöste, blieb es schliesslich dabei.

Von der neuen Technik damals noch relativ unbelastet, aber voll Vertrauen in die NSU-Qualität, trat ich am 17. Februar 1968 die Reise an. Ausser den Segenswünschen der Kundendienstabteilung hatte ich nur das Bordwerkzeug dabei. Das Fahrzeug war ein gletscherweisser Ro 80 in Italien-Ausführung, erkenntlich u. a. an den seitlichen Blinkleuchten, Tachometerstand bei der Abfahrt 387 km, Erstinspektion und Ölwechsel waren durchgeführt worden.

Infolge der späten Abreise kam ich am ersten Tag nur bis in die Schweiz und übernachtete in Küssnacht bei km-Stand 784. Für den nächsten Tag hatte ich mir mehr vorgenommen, wurde aber bald von der Schweizer Polizei gestoppt. Diese zeigte zwar viel Interesse für meinen Ro, liess sich aber trotzdem nicht von ihrer Dienstpflicht abhalten und kassierte vor Ort eine Geldbusse wegen unerlaubten Überholens auf dem Anstieg zum Gotthard-Pass. Von da an durch den Tunnel bis zur Grenze fuhr ich etwas zurückhaltender und sehnte mich nach der italienischen Autobahn.

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Dort angekommen war die Enttäuschung gross: Es gab eine Höchstgeschwindigkeit, nach Fahrzeug-Hubraum gestaffelt und viel zu niedrig, wie ich fand. Mir gingen allerlei Gedanken bezüglich Ro 80 und Hubraum durch den Kopf. Wäre da nicht etwas zu machen ? Aber die Vernunft siegte und ich wagte nur kurzzeitig und an "sicheren" Stellen den Ro zu testen. Es war sehr beeindruckend und bekanntlich liefen die frühen Ro 80 besonders gut.

Bei km-Stand 1429 übernachtete ich in Bologna und schaffte es am nächsten Tag bis Salerno, südlich von Neapel und km-Stand 2110. Der Durchschnittsverbauch wurde mit 14,9 l/100 km ermittelt.

Hier war die Autobahn nach Süden zu Ende. Der folgende Tag war hart. Bis zum Verschiffungshafen Syracus waren noch fast 700 km zu fahren, überwiegend auf schmalen Strassen mit landwirtschaftlichem Verkehr, Eselsgespannen, Zwei-und Dreirädern und langsamen Fiats. Ich fühlte mich in dieser Umgebung mit dem Ro 80 etwas deplaziert. Teils ging es am Meer entlang, dann aber immer wieder über steile Anstiege in urige Bergdörfer hinauf und anschliessend wieder auf Meereshöhe hinab. Das kostete viel Zeit und das Mittagessen musste ausfallen. Aber das Fährschiff war fest gebucht und ich war schlapp und glücklich zugleich, als ich auf Sizilien war und später im Hafen von Syracus den Motor abstellen konnte.

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Nach dem Abendessen an Bord und Auslaufen um Mitternacht wurde das Meer rauh und ich seekrank. Ich fand die Fahrt jetzt nicht mehr so gut und dachte über die Vorteile von Flugreisen nach. Erst nach der Ankunft auf Malta und mit festem Boden unter den Füssen ging es mir wieder besser. Während des halbtägigen Zwischenstops erkundigte ich La Valetta, während der Ro im Laderaum döste. Über Nacht ging es weiter nach Tripolis, das wir am nächsten Morgen erreichten.

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Durch die Hilfe unserer dortigen Vertretung gestalteten sich die Einreiseformalitäten weniger aufregend als befürchtet. Nach einer gründlichen Reinigung brachten wir den Ro am nächsten Tag auf das Messegelände. Er wurde zu einem viel bestauntem Messeschlager und später dem Königshaus, damals regierte noch König Idris, übergeben. Ich hielt eine kleine Ansprache und erfreute die königliche Kundschaft mit der Mitteilung, dass dies der erste Ro 80 sei, der an die arabische Welt ausgeliefert werde.

Als ich 6 Monate später wieder nach Libyen kam, war der Wagen verschwunden und ich habe ihn nie wieder gesehen. Vertraulich war zu erfahren, dass ihn einer der königlichen Prinzen beim Aufprall auf einen Felsen so stark beschädigt hatte, dass an eine Reparatur nicht mehr zu denken war. Nur wegen der guten Karosserie sei der Prinz nicht verletzt worden, was den NSU-Händler sehr erleichterte, er habe sonst als Lieferant des Fahrzeugs mit unangenehmen Konsequenzen rechnen müssen.

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